Weiße Nächte, goldene Kuppeln und tausend grüne Inseln

2008


  
 mehr Fotos 


Ostsee08_Fotos.html
 
 

Sankt Petersburg war ja dieses Jahr das Ziel mehrerer KYC-Segler. Auch meine Frau Sabine und ich waren mit unserer Imagine, einer Hanse 341, in diesem Sommer dort, haben aber eine etwas andere Route als üblich gewählt und sind durch russische Hoheitsgewässer auch zum Saimaakanal gesegelt. Über unsere Erfahrungen dabei und eine Havarie in Estland will ich hier berichten.

Wir starten in Strande am 17. Juni 2008. Die Hinfahrt über Gotland nach Lettland verläuft sehr schnell. Bei vorherrschend südwestlichen, zum Teil stürmischen Winden segeln wir über Rödby, Skillingen, Utklippan, Kalmar und Byxelkrok in nur einer Woche nach Visby. Nach einem Sturmtag auf Gotland geht es weiter durch den Färösund nach Ventspils. In Lettland und Estland gönnen wir uns mehr Zeit. Über die Rigaer Bucht (Montu, Ruhnu, Pärnu) segeln wir durch den Muhusund (Kuivastu, Haapsalu) in den Finnischen Meerbusen (Dirhami, Lohusalu, Naissaar) nach Tallinn. Allerdings weht der Wind nun aus Nord, so dass wir meist kreuzen müssen.

In Haapsalu lernen wir zwei extreme Seiten der momentanen estnischen Verhältnisse kennen. Beim Anlegen in dem schönen alten Kurort ereilt uns gegen 17 Uhr ein Unglück, bei dem wir zunächst denken, unsere Reise sei nun zu Ende. Beim Rückwärtsrangieren stößt das Ruderblatt so hart gegen einen unter Wasser versteckten Betonklotz, dass es der Länge nach zerbricht. Den nicht markierten Klotz hat ein privater Hafenbauer, der seine neue Marina wegen eines Rechtsstreits wieder schließen musste, ca. 1,6 m tief neben einer Festmacherpier auf dem Weg zum älteren Yachthafen ausgelegt, ohne Markierung oder Warnhinweis. Wegen dieser „Grand Holm Marina“ sind die Stege des Haapsalu Yacht-Clubs, wo wir noch vor zwei Jahren festmachten, für größere Boote nicht mehr erreichbar.  Zu unserem Glück helfen uns aber jugendliche Segler und ein Bootsbauer mit einem unglaublichen Einsatz. Noch am selben Abend wird das Heck unseres Bootes an einer Fischkutterpier mit einem Autokran hochgehoben und das Ruder ausgebaut. Über Nacht laminiert Herr Valdo Viilustu die weggeschwommene Ruderblatthälfte mit Kohlefasermatten wieder auf die andere Hälfte und das runderneuerte Ruderblatt wird am nächsten Nachmittag eingesetzt. Eine unglaubliche Leistung, und das alles zu einem sehr günstigem Preis. Das Ruder arbeitet bis heute einwandfrei.

In Tallinn kommen Ilona und Gerd M. an Bord, die uns bis Finnland begleiten. Nach einem Streifzug durch die alte Hansestadt segeln wir über Vergi nach St. Petersburg. Den Hafen Vergi, 55 sm östlich von Tallinn, kann ich als Ausgangsort für die Fahrt nach St. Petersburg empfehlen; die Ausreiseformalitäten werden mit Hilfe des Hafenmeisters problemlos erledigt und der Ort ist auch einen längeren Aufenthalt wert. Das Wetter ist bei dieser 134 sm langen Nachtfahrt durch das russische Hoheitsgebiet ruhig, so dass wir um die Mittagszeit in St. Petersburg eintreffen. Erst müssen wir dort zur Pass- und Zollkontrolle am kleinen Kreuzfahrerkai, dann zum Liegeplatz in einem anderen Mündungsarm der Newa, leider weit ausserhalb des Zentrums, wo uns Tatiana Bykova empfängt. Die Kontrollen verlaufen zwar umständlich, aber problemlos, vor allem weil wir mit Marsches Hilfe und dank der schnellen Arbeit des DSV gerade noch rechtzeitig den Internationalen Bootsschein (IBS) erhalten haben.

Was soll ich über St. Petersburg sagen? Natürlich ist es eine Reise wert. In der erst 300 Jahre alten Stadt begegnet einem die bewegte Geschichte der letzten hundert Jahre auf Schritt und Tritt. Angefangen vom unermesslichen Reichtum weniger (des Zaren, der Oberschicht und der Kirche), über die Oktoberrevolution, die Stalinzeit und die schreckliche neunhunderttägige Belagerung und Zerstörung der Stadt durch die Deutschen bis hin zu einer unglaublichen Wiederaufbauleistung. Wir sehen den Katharinenpalast mit dem Bernsteinzimmer als VIP-Gäste, erleben eine wunderbare Ballettaufführung im Mariinsky-Theater (drei Ballette von Balanchin zur Musik von Strawinski, Prokofjew und Bizet), besichtigen die Peter-Paul-Festung, machen einen Schnellbootausflug zum Gartenschloss Peterhof, schieben uns an den Schätzen der Eremitage im Winterpalast vorbei und bestaunten weitere Paläste und reich ausgeschmückte Kathedralen. Uns stellt sich Petersburg in den fünf Tagen, die wir dort verbringen, als eine Stadt der Kontraste dar. Auf den Flaniermeilen gibt es alle westlichen Nobelmarken im Angebot. Bootsbesitzer lassen sich zu ihren Motoryachten per Hubschrauber einfliegen. Jüngere Russen sprechen englisch und Bankomaten gibt es überall. Daneben gibt es viel Armut, die sich aber versteckt. Als Tourist fühlt man sich oft ausgenutzt. Eintrittspreise sind für Ausländer zwei- bis dreimal höher als für Russen. Und alles muss extra bezahlt werden. Wir haben jedenfalls viel Geld dort gelassen. Aber es gibt ja auch soviel zu sehen! Allerdings wird der Blick bei soviel Gold und Prunk allmählich stumpf.

Die Bürokratie erfordert viel Geduld. Obwohl sich eigentlich bei den Kontrollen keine Probleme ergeben, denkt man dauernd, was soll das alles. Viel zu viele Leute sind involviert, die sich gegenseitig beweisen müssen, wie wichtig sie sind. Insgesamt gibt es auf dem Weg von Estland nach St. Petersburg, weiter durch den Saimaakanal in die finnischen Seen, dann wieder zurück durch russisches Gebiet zur Ostseeküste Finnlands, elf Kontrollen unserer Pässe und Schiffspapiere. Dazu kommen unterwegs diverse Anrufe und Meldungen über Schiffsfunk. Wie schön ist es für die Ostseesegler dagegen, dass seit diesem Jahr alle Kontrollen und Meldungen in den baltischen Staaten entfallen sind.

Angeblich als erste Jacht überhaupt haben wir den Wunsch, von St. Petersburg direkt zum Saimaakanal zu segeln. Die ersten vier Schleusen dieses 43 km langen Kanals liegen seit der Grenzverschiebung nach dem Winterkrieg 1939/40 auf russischem, die drei weiteren auf finnischem Territorium. Zunächst heißt es, der Weg dorthin sei nur mit einem zusätzlichen Visum möglich, wenn wir nicht einen Umweg über Finnland machen wollten. Am Ende lösen sich aber alle Probleme auf. Wir können uns sogar die zeitraubende Ausreisekontrolle in Petersburg sparen – wir verlassen ja Russland erst im Saimaakanal – und dürfen den kurzen Weg durch den Sund von Primorsk nehmen, der in unseren neuesten Seekarten noch als gesperrt gekennzeichnet ist. So erreichen wir am 19. Juli die 96 sm entfernte erste Schleuse Brusnitchoe des Saimaakanals in einer Tagesfahrt kurz vor Mitternacht. Am nächsten Morgen erfolgt die Zollkontrolle, drei Schleusen weiter die Passkontrolle. Dank eines finnischen-russischen Pachtvertrages von 1968 ist es möglich, den Kanal ohne russisches Visum zu befahren. Uns begegnen mehrere finnische und schwedische Segler, aber auch große russische Holzfrachter, die mit 82 m Länge ein ganzes Schleusenbecken vollständig ausfüllen.

Die Tage auf dem Saimaa, mit über 4000 qkm der größte finnische und viertgrößte europäische Binnensee, sind in dieser Zeit der hellen Nächte wunderschön. Der zerklüftete, umwaldete See ist ein schönes Segelrevier und lädt wegen der relativ warmen Temperaturen zum Baden ein. Es gibt 3000 km lange Schiffsrouten, alle hervorragend mit Tonnen und Peilmarken ausgestattet. Überall verstecken sich Sommerhäuser im Wald. Wir dürfen in einem traumhaften Ferienhaus von Freunden nächtigen und die holzbeheizte Sauna mit dem anschließenden Bad im See genießen. Zum Essen gibt es selbst gesammelte Pfifferlinge und frischen Fisch. In der mittelalterlichen Trutzburg Olavinlinna von Savonlinna, die die damalige schwedisch-russische Grenze schützte, sehen wir großartige Inszenierungen der Verdi-Opern Rigoletto und Aida, wofür wir die Karten schon Monate vorher im Internet gekauft haben. Wiederholt begegnen uns große Holzflöße, die zu der Papierfabrik in Lappeenranta geschleppt werden.

Am 27. Juli durchfahren wir den Saimaa-Kanal wieder abwärts, tanken auf russischer Seite noch einmal billig und klarieren bei der finnischen Kontrollstation Santio ein. Dann segeln wir längs der finnischen Südküste über Hamina, Svartholm, Porvoo, Helsinki, Suomenlinna und Hanko in den Inselteppich zwischen Finnland und Schweden. Die für finnische Verhältnisse sehr alte, gut erhaltene Stadt Porvoo hat uns dabei am besten gefallen. Leider werden wir auf unserer geliebten kleinen Schäre Gullkrona zwei Tage eingeweht, bevor wir über die Ålands (Degerby und Rödhamn) in die Stockholmer Schären weiter segeln. Wegen zahlreicher kräftiger Tiefdruckgebiete können wir auf der Rückfahrt nicht so viele Schärenplätze wie erhofft aufsuchen. In Nynäshamn liegen wir wieder drei Tage fest, bis ein Tief einmal südlich vorbeizieht und wir bei nördlichen Winden auslaufen, jedoch mit Starkwind und dichtem Regen.

Wieder durch den Kalmarsund, über die Hanöbucht und Schwedens Südküste kreuzen wir nach Klintholm. Endlich erreicht uns ein Hochdruckgebiet, und wir können auf dem Heimweg über Gedser und Burgtiefe doch noch die warme Sonne genießen. Am 31. August rauschen wir bei schönstem Ostwind vor Spinnacker von Fehmarn nach Strande.

Bis auf den Ruderschaden und zwei Schäkelbrüche sind Schiff und Mannschaft wohlbehalten und um viele Eindrücke reicher im Heimathafen angekommen. Wir sind in 73 Tagen insgesamt 2329 sm gesegelt, davon 480 sm unter Motor. Von den 19 Hafentagen waren 5 starkwindbedingt.

 

Eine Sommerreise nach St. Petersburg und Savonlinna